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Erziehung mal anders. Oder: Man muss nicht alles verstehen.

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In der Regel gilt für mich die Devise: "Leben und leben lassen", und von mir aus auch "Erziehen und erziehen lassen". Vor allem wenn dabei niemand einen Schaden nimmt. Gestern in der Sonntagspresse allerdings wurde ich durch einen Artikel über Erziehung regelrecht auf ein Aufregerthema hinaufgelüpft. Und als Significant Other dann auch noch zu mir kam mit einem Grinsen und den Worten "Du, lis mal im Gsellschaftsteil, Siite 12! Das wird dir gfalle..." da juckte es mich bereits in den Fingern, dazu etwas zu schreiben und hier sind wir nun.

In besagtem Artikel ging es um eine Erziehungsmethode, bei der Kinder nicht wie Kinder behandelt werden, sondern wie Erwachsene (willkommen zurück im Mittelalter!).  Offenbar ist halb Hollywood auf diesen Trip aufgesprungen und wohl auch deshalb war das Thema wichtig genug, um es auch hier in der Sonntagszeitung zu behandeln. Okay! Also. Spielzeug bräuchten Kinder gemäss dieses Erziehungsansatzes nicht, denn die besten Spielzeuge fänden sich bei den Erwachsenen und deren "Sachen" ohnehin. Ein Graus jeder Nuggi, ein Graus auch jedes für's Kind gefertigte Produkt (vom Spielzeugauto bis hin zu Puppen und Puppenwägeli). Auch solle man mit seinen Kindern möglichst wie mit Erwachsenen sprechen und bereits mit Kleinkindern über alle möglichen Dinge ganz rational diskutieren. Ich kann ehrlich sagen, dass sich mir während des Lesens derart die Augenbrauen hinaufbogen, dass man es beinahe schon als Augenfitness bezeichnen könnte. Ein Wunder, habe ich keinen Muskelkater. Denn die Quintessenz des Artikels war denn auch die, dass bereits kleine Kinder verantwortlich für ihr Tun und lassen seien, dass sie "selbst ganz genau wüssten, und das intuitiv, was gut und was schlecht für sie ist". Aha. Dies wurde denn auch mit Beispielen verdeutlicht, etwa so. Das Kind spielt. Das Kind zieht dem Gspänli an den Haaren. Das Kind hämmert mit dem Holzklotz so lange auf den Boden bis der Parkett sichtbare Spuren davonträgt. Das Kind wirft den Bauklotz in Papas Kaffeetasse und der arme Kerl verbrüht sich ganz grauenhaft. Alles in Ordnung - das Kind weiss schliesslich selbst, was gut für es ist. Und im Zweifelsfall kann man ja immer noch mit ihm sprechen, wie mit einem Erwachsenen. Oder?

*homemade, Mememaker*

Wäre der Artikel nicht doch mit viel Sarkasmus auf dieses Thema zugegangen, so hätte ich ihn bestimmt nach 2 Minuten schon zusammengeknüllt und in die nächste Mülltonne befördert  - denn ich weiss schliesslich, was für mich gut ist. Eine solche Erziehungsweise ist es auf jeden Fall nicht. Während es in mir immer weiter brodelte, grinste Significant Other immer breiter und konnte sich ein "...und?" nicht verkneifen. Er wusste natürlich genau, was ich von solchen Methoden halte. Und das ist nicht viel. Nein, ich denke nicht, dass Kinder "als fertige Wesen" auf die Welt kommen. Nein, ich denke nicht, dass man sie wie Erwachsene behandeln sollte (so mancher Erwachsene verhält sich ja nicht mal so, wie ein Erwachsener). Ja, ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass Eltern ein Kind begleiten und auch anweisen sollen, denn woher soll es denn sonst lernen "wie's im Läbe lauft" wenn nicht von den Bezugspersonen, die es lieben und gerne haben (und in der Regel das Beste für es wollen)? Und nein, ich bin nicht der Ansicht, dass Kinder immer intuitiv wissen, was ihnen gut tut. Beziehungsweise würden sie sich sicher nicht immer für das intuitiv Richtige entscheiden, selbst wenn sie es wüssten. Wer immer den Broccoli zugunsten des Coupe Dänemark wählt, der werfe hier bitte den ersten Stein. Und last but not least: Ja, ich bin der Ansicht, dass Kinder das Recht haben, Kinder zu sein. Unvernünftig zu sein. Spielerisch zu sein. Respektiert und ernst genommen zu werden. Trotzdem kindisch sein zu dürfen. Zu lange einen Nuggi haben zu wollen. Ihr Milchfläschchen am Abend immer noch zu mögen, obwohl  im Kindermedizinbuch steht, man solle es doch bitte mit 12 Monaten dann endgültig abgewöhnen. Und Bezugspersonen zu haben, die sie beim Sprechen, Diskutieren und Verhandeln zwar ernst nehmen und auf Augenhöhe mit ihnen kommunizieren, aber nicht wie "mit Erwachsenen". Sondern so, dass es ein Kind versteht, ohne aber in eine blosse "Duziduzi"-Sprache zu verfallen.

Nicht umsonst heisst es, dass wir uns "ein Leben lang" entwickeln. Das heisst nicht, dass Kinder irgendwie minderwertige Erwachsene sind, sondern dass es kleine Erdenbürger sind, die auf dem Weg sind, die Welt zu entdecken. Kleine Menschen, die jeden Tag ein bisschen mehr dazu lernen und hoffentlich auch nicht damit aufhören, wenn sie rein metrisch als ausgewachsen gelten und als "erwachsen" bezeichnet werden.

*usercard*

Ich jedenfalls kriege die Krise, wenn ich Eltern und Kinder beobachte, wo Eltern ihre Kinder alles machen lassen, ihnen jede Verantwortung für ihr Handeln überlassen, und seien sie erst 2 Jahre alt und hielten eine Heckenschere in der Hand. Ich kriege so einen Hals, wenn ich Eltern mit ihren 3-jährigen Kindern darüber diskutieren höre, ob es vielleicht die Zähneputzen möchte, oder ob man bei einer Angina vielleicht doch zum Arzt fahren sollte. Eltern sind aus einem bestimmten Grund Eltern. Und zwar nicht deshalb, dass sie einfach Kinder in die Welt setzen, und dann die Verantwortung für all das kindliche Tun an sie abgeben. Eltern sind Vorbilder, Eltern sind Guides und Eltern sind nunmal auch manchmal Schiedsrichter und Neinsager. Das ist ganz schön anstrengend. Und nicht umsonst heisst es "Erziehungsarbeit" und nicht "Erziehungs-Füsse-hochleg-Zeit".  Nachdem ich den Artikel zu Ende gelesen hatte, erinnerte ich mich noch einmal an mein Mantra "Leben und Leben lassen" und sagte mir, dass es ja nicht an mir liegt, wie andere ihre Erziehung anpacken. Und das stimmt auch. Bis auf diesen einen Blogbeitrag werde ich es weiter so handhaben und mische mich auch ganz bestimmt nicht ein.

Ausser ich sehe, wie sich ein wie oben beschrieben erzogenes Kind einer meiner Lütten mit einer Heckenschere nähert oder mir und meiner Kaffeetasse mit seinem Bauklotz zu nahe kommt. Dann ist aber schon sicher fertig Luschtig.


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