Es war ein Samstag. Ich hatte meinen Führerschein damals noch nicht, also fuhr Significant Other. Wir waren unterwegs in der Nachbarstadt und auf dem Rücksitz sass damals Nummer 1, ungefähr 20 Monate alt. Nummer 2 war damals erst unterwegs. Zu jener Zeit mochte Nummer 1 Musik im Auto besser leiden, als heute. Wo damals noch richtig gute Rockmusik durch das Auto dröhnen durfte, reicht heute schon normale Radiomusik die einen Ticken zu laut eingestellt wird, um ihr ein "es isch z LUUUUT mached das liisliger!" zu entlocken. An besagtem Samstag lief das Radio und es kam allerhand, wir achteten gar nicht so darauf. Hat man ein Kleinkind im Auto, welches einem noch nicht jedes Wort nachplappert und auch sonst noch nicht viel Konversation macht, macht man sich über das Gehörte noch nicht so einen Kopf. Bis zu diesem Samstag. Wer kennt nicht den Radiodauerbrenner von Mousse T. mit dem vielsagenden Titel "Horny". Plötzlich tönte es vom Rücksitz immer passend zum Einsetzen des Refrains in kleinkindlicher Lautstärke: "hooni hooni hooni!" Zuerst war das schon wahnsinnig lustig, fast haben wir uns vor Lachen verfahren. Aber dann - ja dann fängt man an, darüber nachzudenken, was das nun heisst.
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Bänz Friedli, einer der Kolumnisten, die ich immer gerne lese, schrieb ja einmal treffend etwas zu English Lessons im Migros Magazin. Die sich im Jugendalter befindliche Tochter hatte eine gefühlte Milliarde Mal den Song "Whistle" von Flo Rida vor sich her gesungen, was ihn als Vater auch etwas irritiert hatte. Klar, sex sells, das gilt auch schon seit Ewigkeiten für das Showbusiness. Und wenn man sich die Charts und Stars von heute (und vor allem die Musikvideos und Tweets) anschaut, dann ist da Huch-die-Zunge-hängt-wieder-raus Miley, die wieder irgendwo an einem Hammer leckt, und Justin Bieber, der sein Sixpack mit einem Selfie der Welt präsentiert und Ach-du-Schreck-es-gibt-sie-noch-Kim-Kardashian die stolz nach verlorenen Schwangerschaftspfunden ihre imPOsante Kehrseite in einen weissen Badeanzug packt. Fair enough. Ist ja auch gut so, sorgen diese Gestalten dafür, dass den Medien der Stoff nicht ausgeht, mit dem sie uns unterhalten. Es geht auch gar nicht darum, zu beurteilen, ob ihr Verhalten jetzt ok ist, oder kindisch oder daneben. Sondern es stellt sich angesichts dieser Reize von aussen, denen bereits Kinder oft auch unbewusst ausgesetzt sind, eine simple Frage:
Was darf man als erwachsene Person vor Kindern a.) sagen oder b.) schauen c.) sich anhören wenn Kinder in der Nähe sind, die jedes Detail, das Mama, Papa, Radio oder Fernseher von sich geben aufsaugen wie kleine Schwämme, und es dann in den unmöglichsten Momenten von sich geben? Beginnen wir mal beim ersten Punkt.
a.) SAGEN: In einer finnischen Serie quatschen zwei Frauen während der Autofahrt über Sex in der Ehe, ihre Primarschulkinder auf dem Rücksitz. Damit diese das Gespräch so nicht mitbekommen, ersetzen die Mütter "Sex" mit dem Wort "Pfannkuchen", was zu einer ziemlich lustigen Konversation führt, an deren Ende die Kinder auf dem Rücksitz anmerken, es "sei jetzt schon Zeit, dass zu Hause endlich mal wieder Pfannkuchen gebacken würden, es ist schon so lange her seit dem letzten Mal". Ich bin mir ja ganz ganz sicher, dass das ein Beispiel war, das aus dem Leben gegriffen ist. Schon oft habe ich ähnliche Szenen in Cafés beobachtet, wo Mütter oder Väter sich zum nachmittäglichen Koffeinkick getroffen haben, auch um zu reden. Kinder sollen gar nicht alles mitbekommen, was die Erwachsenen alles besprechen, und da geht es um ganz viele Themen, nicht bloss um Sex. Aber Fakt ist - sie bekommen wohl viel mehr mit, als man denkt. Und ganz viele Dinge werden bestimmt auch falsch verstanden. Auch wenn sie den Inhalt einer Konversation oder eines Streits nicht begreifen, bin ich überzeugt, dass sie zumindest die Stimmung erkennen. Wer erinnert sich nicht daran, wenn früher die eigenen Eltern lauter miteinander diskutiert oder gar gestritten haben? Schön war das nicht. Aber irgendwie kann man die Kinder auch nicht bei jeder Gelegenheit in Watte packen. Auch Streit gehört zum Leben dazu. Schön, wenn die Kleinen auch mitkriegen, wie man das Ganze auch schlichten kann. Fakt ist aber, dass man seine Sprache automatisch etwas anpasst, wenn Kinder in der Nähe sind. Auch, wenn einem aus versehen mal ein Fluchwort entweicht. Da schaut man ganz schuldbewusst nach links und nach rechts, immer das verdutzte oder grinsende Kindergesicht suchend, das als nächstes sagt "Mami hä-ät s SCH... Wort gseit! Mami hä-ät s SCH...Wort gseit!".
b.) SCHAUEN: Ist doch ganz einfach, denkt man sich. Verschiebt man eben die gewalthaltigen oder nichtkindgerechten TV-Sendungen einfach auf den Abend, wenn die Kinder schlafen. Kann man machen, ist sogar gut so. Aber was ist mit vielen Soaps, Sportsendungen oder Nachrichten, die tagsüber laufen? Viele dieser Sendungen enthalten ja auch Szenen, wo Erwachsene miteinander streiten, wo dem Fussballspieler X von Spieler Y voll eins ins Schienbein getreten wird oder wo der Tagesschausprecher Szenen eines Bürgerkrieges kommentiert. Oft wird unterschätzt, wie Kinder selbst auf Situationen und Szenen reagieren können, die für erwachsene Personen totale "peanuts" darstellen. Das mit dem Abend ist vielleicht doch keine so schlechte Idee. Und auch dann nicht bei voller Lautstärke. Schon einmal einen Krimi im TV laufen lassen und aus dem Kinderzimmer zugehört, was da an Geräuschen alles zum vermeintlich schlafenden Sohn oder der Tochter dringt? Das Experiment lohnt sich. Da gruselt sich manch ein Erwachsener.
c.) HÖREN: Letzthin lief Lily Allen's "Hard out here" im Radio und es überkam mich der spontane Impuls, beim Refrain etwas leiser zu stellen, damit Nummer 1 und Nummer 2 nicht plötzlich aus Spass mitsummen und "bitch" zu einem lustigen, nichtverstandenen Wort wird. Oder noch schlimmer, wenn sie dann fragen würden "Mami, was meint die Frau, wenn sie das singt und seit BITSCH?". Auch wenn Jason Derulo munter "Talk dirty to me" vor sich hin schmachtet, bin ich mir amigs nicht so sicher, ob ich da nicht besser etwas leiser stellen sollte, auch wenn Nummer 2 den Beat ganz offensichtlich gerne mag, so enthusiastisch wie sie mitwippt. Es muss aber nicht immer ein Song sein. Mehrfach ertappte ich mich bei der Autofahrt auch schon dabei, dass ich die Nachrichten umstellte, wenn der Nachrichtensprecher etwas über Katastrophen oder Menschenopfer oder sonstige nicht so schöne Dinge zu berichten wusste. Wohl wissend, dass das Klientel auf der Rückbank sicher keinen Drittel der Meldungen wirklich verstehen würde. Aber dennoch hoffend, dass man auf diese Weise die Realität da draussen noch eine Weile aus den Kinderköpfen fernhalten könne - man merkt das ja immer schön, wenn die Kleinen dann Alpträume haben und nichtverstandene Dinge (leider Nachts!) zu verarbeiten beginnen. Die Realität gehört selbstverständlich nicht verboten. Aber Kinder können Stück für Stück daran herangeführt werden. Und es gibt ganz bestimmt Details und Dinge, die man selbst Erwachsenen ersparen kann.
Was Eltern (oder Personen, die sich mit Kindern umgeben und mit ihnen auseinandersetzen) nun tatsächlich den Ohren und Augen ihrer Sprösslinge zumuten, ist ganz sicher hochgradig individuell geprägt. Wo die einen Erwachsenen sehr restriktiv vorgehen und sehr genau darauf achten, was das Kind von aussen alles mitbekommt, da nehmen es andere Erwachsene deutlich lockerer. Da jedes Kind sich in einem eigenen Tempo entwickelt, gibt es auch keine Zauberformel, die genau sagen könnte, was einem Kind besonders gut tut und was nicht. Fest steht aber: Die Welt im Radio, im Fernsehen und da draussen ist nicht "for Kids only" gemacht, sondern: It's an adults world. Ausser wir befinden uns grad im Disney Land, Europapark oder Legoland. Kinder sollen diese Welt der Erwacshenen ihrem eigenen Tempo gemäss erobern und kennenlernen dürfen. Und wenn manchmal etwas aus der Erwachsenenwelt in die Kinderwelt überschwappt, das neu, lustig oder auch verwirrend ist, dann gibt es zum Glück eine ganz einfache Art, damit umzugehen. Nämlich in dem man seinem ureigenen Bauchgefühl folgt UND mit den Kindern darüber spricht. Und nicht nur mit den Kindern, am besten auch mit dem miterziehenden Partner. Significant Other und ich sind zum Glück bei den meisten Dingen, welche die Kinder mitbekommen sollen, ziemlich gleicher Meinung. Bis auf eine Sendung, die zugegeben auch manchmal läuft, wenn die Lütten es mitbekommen - nämlich das Scripted Reality Format "Mieten - Kaufen - Wohnen". Ohne jetzt über den Sinn und den Unsinn dieser Sendung zu diskutieren: Significant Other schüttelt immer ganz kräftig den Kopf, wenn er ins Wohnzimmer tritt und Nummer 1 johlt "Papi lueg, Miiiiten Kaufen Ohneeee!". Und vielleicht hat er sogar recht damit, dass da nichts Sinnvolles kleben bleibt. Aber ich denke mal, es ist jetzt auch nicht wahnsinnig schädlich, ein paar gestellte Wohnungsbesichtigungen und flirtende Makler mitzukriegen.
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Wir werden es sehen, in rund 14 Jahren, wenn sich die Berufswünsche von Nummer 1 und Nummer 2 herauskristallisieren. Sollte eine der beiden den Maklerberuf wählen, muss ich Significant Other einen ausgeben. Oder zwei.