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Channel: Und schon wieder schreibt sie.
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Well done! Das hast du aber gut gemacht.

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Früher, als Kind, wenn man zum Arzt gehen musste, war das ja immer eine etwas gruselige Angelegenheit. Je mehr die grossen Leute betonten, es werde "sicher nöd fest wehtue!" desto grösser wurde das Unbehagen. Aber egal ob es nun ein Gang zum Doktor mit der Impfspritze war, oder der Weg zur Zahnarztkontrolle führte, in den allermeisten Fällen gab es danach eine Belohnung.

*Es tuet nöd weh. Sicher nöd. Also fast sicher. OK, es tuet weh! Aber's gat verbi.*

Bei den allermeisten Ärzten steht heute noch beim Eingang noch dieses kugelrunde, aquariumartige Glas, in welches kleine Kinderhände eintauchen, um sich ein Spielzeug zu greifen. Als Belohnung. Weil man brav und tapfer (wobei, auch die weniger Tapferen durften sich bedienen) war. Und weil es nett ist. Ich weiss noch, dass mein Hausarzt damals ein Glas voller kitschiger Kinderfingerringe mit riesigem Bling-Bling-Plastiksteinchen in verschiedenen Farben dort stehen hatte. Und für die Jungs gab es Plastikdinosaurier, je gezackter und zahniger, um so besser. Und ich schwöre ja Stein und Bein, dass einer meiner ersten Zahnärzte aus dem Primarschulalter ein Fischglas voller Lollies am Empfang stehen hatte. Frühe Kundenbindung nennt man sowas wohl.

*homemade. Message in a bottle. From your dentist, with love.*

Ich war ja wieder bei Dr. Dream-Eye (richtig, mein neuer Zahnarzt) und als ich da so lag und ganz fest die Augen zukniff (mit den Ohren funktionierte das ja leider nicht, weshalb sich das Ganze etwa so anhörte wie damals auf der Baustelle unseres Hauses. Worst part.) erschien dieses Glas voller kleiner Spielsachen vor meinem geistigen Auge. Und ich fragte mich: Warum gibt es dieses Rewards-Glas nicht auch für Erwachsene? Wann genau hört es auf, dass man sich nach etwas Unangenehmem etwas Kleines aussuchen darf? Im Jugendalter? Brauchen wir denn plötzlich keine Goodies mehr, wenn unsere Körpergrösse 1.60m überschreitet?  Nimmt die Gesellschaft einfach an, dass proportional mit ansteigendem Körpergewicht und dem Entwicklungsgrad unseres Frontalkortex (verantwortlich für die Vernunftentscheidungen im Hirn) auch unser Mut zunimmt? Da glaube ich ja gar nicht dran. Natürlich hat man vor gewissen Dingen mit der Zeit einfach schon durch die Erfahrung allein weniger Angst. Man weiss, dass man "es schon überlebt" und "dass es nicht so schlimm" wird. Aber ich möchte ja wissen, wie viele Menschen da draussen in den Nächten vor Arztbesuchen, Prüfungen, Vorstellungsgesprächen oder samstäglichen Einkaufstouren in schwedische Möbelhäuser schlecht schlafen. Klar überlebt man alles. Aber das heisst doch nicht, dass man nicht trotzdem nervös sein kann. Und dass man nicht trotzdem gern nach überstandener Challenge tief ausatmen, sich den Angstschweiss von der Stirn wischen und grosszügig ins Belohnungsglas greifen darf.

Ich bin nicht der Meinung, dass man sich nach jeder Kleinigkeit belohnen sollte. Aufstehen am morgen sollte schon auch funktionieren, ohne sich die neue Chanel Tasche aus der Bahnhofstrasse zu holen. Sonst wird das Ganze dann mal seltsam. Und auch langweilige Alltagsdinge wie Staubwischen (gehört verboten! So wie mir. Von meiner Allergologin), Bügeln (Hemden. Ein Machwerk des Teufels) oder den Geschirrspüler auszuräumen (am besten ohne Hilfe von Nummer 2, da gab es schon einige Kollateralteller) sollte man auf die Dauer auch ohne grosse Belohnungsaktionen hinkriegen - zumindest solchen, die zu fest auf das Portemonnaie schlagen. Belohnung kann ja auch günstig oder gratis sein. Mit einer kleinen Nackenmassage, die man sich vom Partner erschleicht. Einer Lindorkugel. Einer runde Joggen mit extralauter Musik, die den Ohren garantiert nicht so gut tut, aber der Laune. Manchmal hilft eine kleine Motivationsspritze eben schon, um Dinge zu erledigen, die eben einfach gemacht werden müssen. 

"Sooooo! Bald haben WIR es geschafft" meinte dann Dr. Dream-Eye nach gefühlten 8 Stunden, was meine angekrampften Handgelenke gaaaaanz langsam dazu brachte, sich etwas zu entspannen. Weshalb der Gute allerdings von "wir" sprach, kann ich mir nicht erklären. Schliesslich hatte ich  - so viel ich nach dieser Flusspferdsedierung noch weiss - weder die Behandlung verweigert noch ihn gebissen oder wild um mich getreten, als es weh tat. Obwohl vorgestellt hatte ich es mir natürlich schon. 

*made with rottenecards*

Fest entschlossen, die Augen erst zu öffnen, wenn die ganze Behandlung vorbei wäre, unterliess ich das Hochziehen der Augenbraue - mit geschlossenen Augen macht das wenig Eindruck. Nachdem ich entlassen war, schlenderte ich leicht angedrögelt und mit einer riesigen Hamsterbacke in Richtung Garderobe und suchte meinen Mantel. Auf dem Tisch der Empfangsdame stand gar kein Glas, nicht einmal für die Kinder. Die nette Dame war gerade nicht da, sonst hätte ich gefragt, ob man denn das heutzutage nicht mehr pflegt, dieses Fischglas voller Belohnungen. Vielleicht frage ich Dr. Dream-Eye das nächste Mal, was er von einem Belohnungsglas für Erwachsene hält. Aber ich denke, er wird mich einfach nach draussen schicken, wenn ich ihn das frage. Ins Modegeschäft gleich neben der Praxis, mit der riesigen Glasfront. 

Es erinnert ein bisschen an ein Aquarium. Und belohnen kann man(n) sich da also auch.



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